Alice Savarino ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht von Prof. Christopher Geth und Lehrbeauftragte im Fachbereich Strafrecht. In ihrem Habilitationsprojekt befasst sie sich mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Spätfolgeschäden, also jenen Schäden, die erst nach langer Zeit sichtbar werden – insbesondere im Zusammenhang mit Risiken industrieller Tätigkeiten.

Akademischer Werdegang

Alice Savarino wuchs in Sizilien auf und absolvierte ihr rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Pisa. Im Anschluss sammelte sie praktische Erfahrungen an Gerichten und in Anwaltskanzleien und legte erfolgreich die Anwaltsprüfung ab.

Im Juli 2023 promovierte sie an der Universität Pisa mit einer Dissertation mit dem Titel «Proiezioni offensive lungo-latenti e organizzazioni complesse: un'indagine sui profili di responsabilità penale tra teoria, prassi e prospettive di riforma». Als Doktorandin war Savarino in verschiedene Forschungsprojekte involviert und publizierte diverse Aufsätze sowie Tagungsberichte. Ihre Forschungsinteressen im Bereich Strafrecht umfassen die Verbrechenslehre, strafrechtliches Risikomanagement, die strafrechtliche Haftung von Unternehmen, Umweltkriminalität und Straftaten im Bereich der Arbeitssicherheit.

Dissertationstitel auf Englisch

Long-term Harms and Complex Organisations: An Investigation on Criminal Liability Profiles between Theory, Practice and Prospects for Reform

Forschungsausfenthalte

Während ihrer Dissertation absolvierte Savarino zwei Forschungsaufenthalte im Ausland. Einer dieser Aufenthalte führte sie an die Juristische Fakultät der Universität Basel.

Das Forschungsumfeld hier in Basel ist äussert modern und dynamisch. Deshalb freute ich mich sehr über die Einladung von Prof. Geth, nach meinem ersten Aufenthalt als Doktorandin nun als Postdoc im Lehrstuhlteam mitzuwirken.

Alice Savarino

Im Frühjahr 2025 verbrachte sie zudem einen Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg im Breisgau. Dort arbeitet sie an einem Forschungsprojekt, das sich mit der Beziehung zwischen Strafrecht und dem Konzept der Zeit befasst, insbesondere im Hinblick auf sich wandelnde Wahrnehmungen zum Thema «Zeitlichkeit».

Habilitationsprojekt

Savarinos Habilitationsprojekt widmet sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei langfristigen Schäden. Sie untersucht insbesondere zwei zentrale Problemfelder: gesundheitliche Schäden durch langjährige Exposition gegenüber toxischen Stoffen sowie Umweltschäden durch kumulative Verschmutzung. Die Komplexität dieser Phänomene und ihre langen Wirkungszeiträume stellen eine Herausforderung für die traditionellen strafrechtlichen Rahmenbedingungen dar, die oft nicht in der Lage sind, langanhaltende Schäden wirksam zu berücksichtigen.

In ihrer Forschungsarbeit untersucht Savarino, wie das nationale Strafrecht weiterentwickelt werden kann, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Angesichts der Bedeutung des Schutzes der Gesundheit der Menschen und der Umwelt vor gefährlichen industriellen Aktivitäten besteht ein dringender Bedarf an transformativen Ansätzen in der rechtlichen Steuerung und Durchsetzung im Bereich der Strafjustiz.

Die Schwierigkeit besteht darin, ein Strafrecht zu entwickeln, das nicht nur vergangene Schuld sanktioniert, sondern auch präventiv wirkt. Savarinos Forschung verfolgt daher einen innovativen Ansatz: weg von einer ausschliesslich individuellen Haftung hin zu unternehmerischer Verantwortung, sowie von einer rein strafenden Perspektive hin zu Modellen, die auf Wiedergutmachung und Prävention setzen.

Strafrecht im Anthropozän

Savarino ist davon überzeugt, dass das Strafrecht trotz seiner Funktion als ultima ratio eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel spielen kann. Vor diesem Hintergrund organisierte sie mit Prof. Bijan Fateh-Moghadam einen Themenblock einer internationalen Konferenz in Bern zur Rolle des Strafrechts im Anthropozän.

Das Strafrecht muss sich weiterentwickeln, um die komplexen Risiken der modernen Gesellschaft zu bewältigen, ohne dabei seine grundlegenden Prinzipien zu verlieren.

Alice Savarino

Ihre Forschung setzt sich dafür ein, neue und sozial verantwortliche rechtliche Rahmenbedingungen zu entwickeln, die gesellschaftlichen Schutz mit den Grundwerten des Strafrechts in Einklang bringen. Der erste Schritt in diese Richtung liegt für Savarino in der Abkehr vom vergeltenden Strafrecht hin zu einem inklusiveren und restaurativen Modell der Gerechtigkeit. In diesem Zusammenhang untersuchte sie bereits die Möglichkeit der Umsetzung von Modellen der „Restorative Justice“ im Schweizer Strafvollzug und veröffentlichte zusammen mit Prof. Dr. Christopher Geth einen wissenschaftlichen Beitrag zu diesem Thema.

Was ist «Restorative Justice»?

Das in den 1970er- und 1980er-Jahren entwickelte Konzept der «Restorative Justice» verfolgt das Ziel, Ordnung und Frieden in der Gemeinschaft sowie beschädigte Beziehungen wiederherzustellen. Es soll die Opfer unterstützen, ihnen eine Stimme geben, ihre Beteiligung ermöglichen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Zudem ermutigt es alle Beteiligten, insbesondere die Täter, Verantwortung zu übernehmen. Durch die Förderung persönlicher Veränderungen bei Straftätern und die Erleichterung ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft soll Rückfällen vorgebeugt werden.

Quelle: Handbook on Restorative justice programmes