
Forschungsporträt
Anna Bleichenbacher
Anna Bleichenbacher ist Doktorandin am Lehrstuhl für Zivil- und Zivilprozessrecht von Prof. Roland Fankhauser an der Universität Basel und ausserordentliche Gerichtsschreiberin am Appellationsgericht Basel-Stadt. In ihrer Dissertation untersucht sie den Vermögenstransfer zwischen Generationen durch Will-Substitutes und deren Verhältnis zum Erbrecht.
Akademischer Werdegang
Ursprünglich immatrikulierte sich Anna Bleichenbacher für ein Studium der Theaterwissenschaften, wechselte dann aber noch vor Studienbeginn zu den Rechtswissenschaften. Denn ihr Interesse an Inszenierung, Ausdruck und Sprache liess sich auch gut mit dem Jusstudium gut verbinden.
Während des Studiums entdeckte Bleichenbacher ihre Begeisterung für das Familien- und Erbrecht. Insbesondere beschäftigte sie die Regelungsbefugnis des Staates in einem so persönlichen Bereich wie der Familie und Vermögensübertragungen innerhalb der Familie. Praktische Erfahrungen sammelte sie durch verschiedene Praktika, unter anderem bei einer Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und einer Anwaltskanzlei. Nach dem Master entschied sich Bleichenbacher für ein Doktorat, um die sie interessierenden wissenschaftlichen Fragestellungen vertieft bearbeiten zu können.
Mich fasziniert, wie das Recht den Vermögenstransfer innerhalb der Familien beeinflusst – und wie stark diese Übergänge die finanzielle Zukunft von Individuen und der gesamten Gesellschaft prägen.
Anna Bleichenbacher
Forschungsprojekt
In ihrer Dissertation untersucht Bleichenbacher die Vermögensübertragung innerhalb der Familie mit einem besonderen Fokus auf Will-Substitutes – das sind quasi-erbrechtliche Instrumente, die aber nicht unter das Erbrecht im eigentlichen Sinne fallen. Während sich das klassische Erbrecht mit Testamenten und Erbverträgen beschäftigt, sind unter den Will-Substitutes beispielsweise Lebensversicherungen, ehevertragliche Begünstigungen und Schenkungen auf den Todesfall zu verstehen.
Was ist eine "Schenkung auf den Todesfall"?
Bei der Schenkung auf den Todesfall soll dem Beschenkten das Vermögen erst im Zeitpunkt des Todes der Schenkerin zukommen. Das Schweizer Recht sieht in solchen Fällen die Anwendung erbrechtlicher Regeln vor (Art. 245 Abs. 2 OR).
Forschungsaufenthalt
Die Funktionsweise dieser Instrumente wird in den USA und in weiteren Common Law-Rechtsordnungen bereits seit den 1980er-Jahren intensiv wissenschaftlich untersucht. In den USA werden Will-Substitutes als funktional äquivalent zu Verfügungen von Todes wegen betrachtet, was eine weitgehende rechtliche Gleichbehandlung zur Folge hat. Dabei wird argumentiert, dass auch bei den Will-Substitutes Vermögen auf den Tod hin übertragen wird.
Auch in der Schweiz gibt es entsprechende regulatorische Ansätze, etwa die Anwendung erbrechtlicher Regeln auf Schenkungen auf den Todesfall. Bleichenbacher geht in ihrer Dissertation der Frage nach, ob und inwieweit Will-Substitutes auch in der Schweiz als funktional äquivalent zu Verfügungen von Todes wegen anzusehen sind und welche Konsequenzen sich daraus für ihre rechtliche Einordnung ergeben.
Was ist eine "Verfügung von Todes wegen"?
Verfügungen von Todes wegen sind rechtlich verbindliche Anordnungen über das Vermögen, welche erst mit dem Tod der Erblasserin wirksam werden. Dies sind das Testament und der Erbvertrag. Sie ermöglichen es der Erblasserin, von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen und individuelle Regeln für den Nachlass zu treffen.
Forschungsaufenthalt
Im Rahmen ihrer Dissertation verbrachte Bleichenbacher einen Forschungsaufenthalt bei Prof. Alexandra Braun an der Universität Edinburgh. Braun hat massgeblich dazu beigetragen, das Thema Will-Substitutes in den europäischen Rechtsdiskurs und somit in die Civil Law-Rechtsordnungen einzuführen. Der Austausch mit ihr ermöglichte Bleichenbacher, ihre Forschungsfrage weiter zu verfeinern. «Der Aufenthalt in Schottland hat mir ermöglicht, mein Thema aus neuen Perspektiven zu betrachten und mit Forschenden anderer Rechtskulturen in den Dialog zu treten. Der Szenenwechsel hilft auch, sich voll und ganz dem Projekt zu widmen und es so weiter zu vertiefen.»
Wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Impact
Bleichenbacher legt Wert darauf, dass ihre Forschung sowohl eine wissenschaftliche als auch eine gesellschaftliche Relevanz haben soll. Sie betont, der gesellschaftliche Beitrag von Forschung sei wichtig. Sie wolle zur Klärung der Frage, ob in gewissen Fällen erbrechtliche Regeln auch auf Will-Substitutes Anwendung finden müssten, beitragen. Dass das Projekt aber auch die wissenschaftliche Debatte bereichern soll, habe genauso eine Daseinsberechtigung wie der unmittelbare gesellschaftliche Impact.
Common Law ist ein in vielen englischsprachigen Ländern geltender Rechtskreis, der sich nicht nur auf Gesetze, sondern auch massgebliche richterliche Urteile der Vergangenheit – sogenannte Präzedenzfälle – stützt und durch richterliche Auslegung weitergebildet wird.
Civil Law – wie es in der Schweiz und weiteren kontinentaleuropäischen Ländern vorherrschend ist – basiert hingegen auf umfassend kodifiziertem Recht der Legislative, die durch richterliche Interpretation weiterentwickelt wird.
Wissenschaftliche Grundlagenforschung ist die Basis für zukünftige gesellschaftliche Debatten.
Anna Bleichenbacher
Abschliessend möchte Bleichenbacher andere Forschende ermutigen, einen Auslandsaufenthalt im Rahmen einer Dissertation vorzunehmen. «Ein Forschungsaufenthalt ist sowohl fachlich als auch persönlich bereichernd.» Auch wenn es einige organisatorische Hürden gäbe, solle man die Freiheit, während dem Verfassen einer rechtswissenschaftlichen Dissertation meist ortsunabhängig arbeiten zu können, unbedingt nutzen.