Was wird mit dem «Monitor demokratiekompatible Digitalisierung» untersucht?

Im Rahmen einer breit angelegten Studie hat die Forschungsstelle für Digitalisierung in Staat und Verwaltung (e-PIAF) die Folgen der staatlichen Digitalisierung für das demokratische System und seine Institutionen untersucht. Im Fokus stand die Frage, ob eine Demokratie durch die digitale Transformation des Staates und seiner Institutionen anfälliger für illiberale Entwicklungen, autokratische Kräfte oder demokratieschwächende Machtkonzentrationen wird. Es wurden vier europäische Staaten – die Schweiz, Deutschland, Estland und das Vereinigte Königreich – miteinander verglichen.

Was ist das Besondere an dieser Studie?

Wir gehen einen Schritt weiter als die existierenden e-Government-Indices und -Benchmarks. Wir messen nicht nur den digitalen Fortschritt, sondern untersuchen auch dessen Auswirkungen auf das jeweilige demokratische System. Wir fassen dabei alle drei Gewalten und ihr Verhältnis zueinander ins Auge und beschränken uns nicht auf den e-Government-Bereich.

Warum ist eine demokratiekompatible Digitalisierung wichtig?

Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass der digitale Fortschritt aufgrund der ihn prägenden digitalen Dynamiken derzeit eher den autokratischen und illiberalen Entwicklungstendenzen in die Hände spielt. Die digitalen Dynamiken fördern Zentralisierung und Einflusskonzentration, sie begünstigen die Ausweitung des Wirkungsbereichs von einzelnen Institutionen und die immer weitere Ausdehnung einmal etablierter IT-Systeme. Zentrale Steuerung und Kontrolle wird dadurch erleichtert. Ausserdem verschieben sie den Fokus auf kurzfristige Ziele, stützen den Status quo und erschweren damit die experimentierfreundliche Weiterentwicklung einer offenen Gesellschaft und ihrer Institutionen.

Was erwartet die Staaten konkret?

Ein Vierklang an Entwicklungen:

  1. Die ungewohnten Eigenschaften von Bits und Bytes modifizieren die zur Verfügung stehenden Informationen (Entscheidungsgrundlagen) und Instrumente der staatlichen Aufgabenwahrnehmung.
  2. Die derart veränderte Handlungsbasis löst Entwicklungen und Phänomene aus, die wir als «digitale Dynamiken» bezeichnen.
  3. Die digitalen Dynamiken wirken als disruptive Kräfte und verursachen mit der Zeit erhebliche Macht- und Einflussverschiebungen im demokratischen System, wenn sie nicht bewusst gebrochen werden.
  4. Die Macht- und Einflussverschiebungen werden das gewohnte institutionelle Zusammenspiel verändern und zu neuartigen Risiken für das Funktionieren, die Widerstandsfähigkeit und die Langlebigkeit von Demokratien führen.

Die folgende Grafik illustriert die (möglichen) Macht- und Einflussverschiebungen im gesamten System:

Sollte auf die Digitalisierung lieber verzichtet werden?

Auf keinen Fall! Die digitale Transformation ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit.  Die Digitalisierung des Staates ist auch notwendig, um in einer immer digitaleren und komplexeren Welt erfolgreich regieren zu können. Ausserdem bietet sie die einmalige Gelegenheit, die demokratischen Institutionen «wetterfest» zu machen und sie im Rahmen des Umzugs in den digitalen Raum resilienter zu gestalten. Wir sollten uns allerdings die nötige Zeit nehmen, um geeignete digitale Systeme zu entwickeln.

Wie können die notwendigen Kräfte mobilisiert werden?

Dafür ist es aber notwendig, einen neuen Ansatz, ein neues Narrativ für die Digitalisierung des Staates zu entwickeln. Es muss von der «schneller-höher-weiter-Erzählung» des Silicon Valley abgerückt werden. Viele Denkansätze, Methoden und Tools, die in der freien Wirtschaft entwickelt wurden, werden – oft unhinterfragt – für den staatlichen Bereich übernommen. In funktionierenden Demokratien sollte es hingegen oberstes Ziel sollte sein, auch im digitalen Raum Gewaltenteilung, Föderalismus und die organisatorische Aufgabenteilung zu erhalten. Der schwierigere, komplexere, langwierigere und leider auch etwas kostenintensiveren Weg der demokratiekompatiblen Digitalisierung kann nur gelingen, wenn die digitale Transformation des Staates als zentrales Projekt der nächsten beiden Jahrzehnte positioniert wird. Dafür ist aufzuzeigen, wie sehr die Digitalisierung als Helfer bei der Lösung anderer zentraler Anliegen unsere Zeit, von Energiewende und Ressourcenschonung über demografischen Wandel bis hin zur nationalen Souveränität und Sicherheit, fungieren kann.

Welches Bild zeichnet der Monitor in Bezug auf die demokratiekompatible Digitalisierung in den vier Staaten?

Schneller ist nicht unbedingt besser!

Estland gewinnt zwar dieses Ranking in 2025, allerdings nur knapp, und schneidet aus unserem Blickwinkel unvermutet schwach ab. Das Land erreicht nur ungefähr ein Drittel der möglichen Punkte – und das, obwohl in vielen Bereichen die digitale Transformation bereits weit fortgeschritten ist. Es kann in den kommenden Jahren seine Position somit nur schwer verbessern. Die Schweiz und Deutschland hingegen stehen noch relativ am Anfang ihrer digitalen Reise, punkten aber bereits überraschend stark mit ihren demokratiefreundlichen Ansätzen, Herangehensweisen und Architekturen. Das Vereinigte Königreich wiederum ist teilweise schon weit fortgeschritten. In anderer Hinsicht liegt es aber noch stark zurück. Ohnehin hat es, von unserem Standpunkt aus betrachtet, einen bedenklichen Weg eingeschlagen. Deshalb schneidet es in unserem Ranking – unerwartet – schwach ab.

Wie steht die Schweiz da?

Die Schweiz fährt insgesamt eine kluge Strategie und punktet erstaunlich stark im Kontext der Gewaltenteilung. Oft kommt es in der Anfangszeit der Digitalisierung zu einem Ungleichgeweicht, weil die öffentliche Verwaltung sich schneller digitalisiert als die anderen beiden Gewalten. Die Schweiz ist interessanterweise bereits sehr gut aufgestellt, wenn es um die Digitalisierung der Parlamente und Gerichte geht. Anders als in den anderen beobachteten Ländern verfolgt die Digitalisierung die richtigen Ansätze. Dafür hinkt die Verwaltung im Vergleich etwas hinterher. Das ist kurioserweise wohl dem Umstand geschuldet, dass sie auch analog sehr gut funktioniert. Es gibt keinen allzu grossen Leidensdruck, die Digitalisierung voranzutreiben. Das hat den negativen Effekt, dass die digitale Transformation derzeit vor allem auf Bundesebene vorangetrieben wird. Das ist aber kein abschliessendes Urteil.

Was könnte das für die Zukunft bedeuten?

Die ökonomische Forschung verwendet das sogenannte Leapfrogging-Modell um das zu veranschaulichen. Die früh gestarteten Länder wie Estland und das Vereinigte Königreich mussten ihre digitale Transformation auf der damals verfügbaren Technologie und dem damaligen Wissen aufbauen. Sie sind nun teilweise «gefangen» in dem anfangs gewählten Ansatz, Architekturmodell oder der Technologie. Die später gestartete Schweiz und Deutschland können hingegen auf einer gänzlich anderen Technologie- und Wissensbasis aufbauen und daher mit der Zeit die anderen beiden Länder gerade im Kontext der demokratiefreundlichen Digitalisierung sogar «überspringen».

Wird es also Fortsetzungen geben?

Ja! Der erste Monitor vom Juni 2025 konzentriert sich auf das staatsorganisatorische Innenverhältnis. Ein zweiter und dritter Monitor mit Fokus auf das Verhältnis von Staat zu Staatsvolk bzw. auf das Verhältnis zu extraterritorialen Kräften wird folgen. Anschliessend sind regelmässige Updates zum Fortgang der Entwicklungen geplant.